Die beste Gehörbildung: Gute Musik hören
Ist die Gehörbildung für dich nur ein lästiges Pflichtfach?
Intervalle, Akkorde, Kirchentonleitern, Kadenzen – irgendwie muss man diese trockene Theorie einpauken um die die Aufnahmeprüfung und das Musikstudium zu schaffen.
Leider ist diese Einstellung weit verbreitet. Ich kann das gut verstehen, denn der Leistungsdruck bei den Prüfungen ist extrem.
Gehörbildung kann aber auch richtig Spaß machen, wenn du dich mit richtiger Musik beschäftigst.
Möchtest du Melodiediktate selbstständig ohne Lehrer üben?
An einem konkreten Beispiel zeige ich dir, wie das geht. In Youtube kannst du heute beinahe jedes Musikstück anhören. Die Noten dazu findest du in IMSLP.
1. Finde in Youtube das Musikstück, das du raushören möchtest.
Beispiel: Mozart: Linzer Sinfonie: Trio des Menuetts. (20:03)
2. Höre einen formal sinnvollen Abschnitt
(Hier z.B. 8 Takte) Konzentriere dich dabei auf die Melodie und versuche die anderen Stimmen auszublenden.
3. Singe die Melodie möglichst im Zusammenhang nach.
Wenn du die 8 Takte noch nicht schaffst, nimm einen kürzeren Abschnitt. Versuche langfristig immer größere Zusammenhänge zu erfassen. Es ist für deine musikalische Entwicklung sehr hilfreich, wenn du deine Auffassungsgabe beständig verbesserst.
4. Finde den Grundton.
Tipp: Tonal gebundene Melodien beginnen fast immer mit Grundton Terz oder Quint, den Dreiklangstönen der Tonika.
5. Analysiere die melodischen Elemente
(Soweit es ohne Noten möglich ist.) Hier: Quart-Auftakt, Umspielung des Grundtons, Tonika Quartsextakkord abwärts, … Wechselnoten am Ende. Was du nicht schaffst analysierst du später, anhand der Noten.
6. Analysiere den Rhythmus.
In diesem Beispiel ist das recht einfach. 3/4-Takt, überwiegend 8-tel Noten, 2 Achtel Auftakt. Wenn du nicht sicher bist oder bei schwierigeren Beispielen, kannst du die Melodie singen und dazu die Taktschwerpunkte klopfen.
7. Schreibe die Noten.
Tipp: Wenn der Rhythmus nicht ganz klar ist, schreibe zuerst die Tonhöhen und deute die Tonlängen durch den Abstand zwischen den Noten an. Ergänze den Rhythmus als letzten Arbeitsgang. Sollte die Taktart unklar sein, schreibe Betonungszeichen über die Schwerpunkte. Der Taktstrich kommt immer vor die Hauptbetonung.
8. Überprüfe deine geschriebenen Noten
Die Partitur findest du in IMSLP: Mozart-Sinfonie_No_36_in_C_Major S.26/27
Nachbearbeitung
Du bist noch nicht fertig, wenn du das Stück aufgeschrieben hast. Die Nachbearbeitung der Melodiediktate ist eine sehr hilfreiche Arbeitstechnik. Wenn du konsequent so arbeitest, wirst du langfristig großen Nutzen daraus ziehen.
1. Detailierte Analyse
Schau das Stück nochmal genau an hinsichtlich Melodik, Harmonik, Form und Rhythmus.
2. Auswendig lernen
Lerne die Melodie anhand deiner Analyse mental auswendig. Versuche, dir das Notenbild vorzustellen.
3. Stilles Durchhören
„Singe im Kopf“ ohne hörbare Töne. Erlebe dem melodischen Ablauf in der Klangvorstellung. Wenn das „stumme Singen“ Probleme macht, singe zuerst mit Ton.
4. Auswendig spielen
Spiele die Melodie auswendig am Klavier oder auf deinem Hauptinstrument.
5. Transponieren
Schreibe und spiele in allen Tonarten.
Musikalische Gehörbildung
Höre das Stück noch einmal an und achte auf die musikalische Gestaltung. Die feinen dynamischen und agogischen Details dieser Aufnahme faszinieren mich immer wieder. Achte zum Beispiel darauf, wie der Dirigent bei 21:00 das Orchester zum Thema zurückführt. Gerade diese Stelle finde ich sehr inspirierend und interpretatorisch ausgesprochen gelungen.
Auch das ist Gehörbildung. Die Wahrnehmung feinster Nuancen gehört für mich zu den wichtigsten musikalischen Fähigkeiten.
Fazit: Höre viel gute Musik. Höre mit Genuss, aber auch bewusst und analytisch.
Großartig! Freut mich immer wieder etwas von Dir zu lesen! Wieder einmal ein sehr hilfreicher und inspirierender Beitrag!
Vielen Dank, Tamino!
Dieser Artikel ist sehr gut beschrieben und verständlich. Für mich war es neu nach einer fertig geschriebenen Melodie noch einmal alles zu analysieren oder durch die Tonarten gehen, aber ich kann mir gut vorstellen dass es was bringt – denn dadurch trainiert man nicht nur die melodische Auffassungsgabe sondern auch den Quintenzirkel – wenn man ihn nicht eh schon drauf hat. Hut ab! Immer wieder gute Tipps auf dieser Seite und wertvolle Hilfestellungen wie ich finde – danke :)
Hallo Jascha, vielen Dank für deinen freundlichen Kommentar. Ja, ich bin ein großer Fan des Transponierens. Es fördert das Verstehen dessen, was man spielt. Manch ein Schüler stellte erstaunt fest: „Aha , hier muss ich also eine kleine Terz spielen und danach eine große Sekund…oh hier ist ja ein Dreiklang…“ Transponieren hilft, das Rad nicht jeden Tag neu erfinden zu müssen.